Webinar: Evidenzbasierung in der Wirtschaftspolitik
› AllgemeinesAuf persönliche Einladung trafen sich das Netzwerk Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau sowie weitere Gäste am Freitag, 29. Mai 2020, zum Webinar „Evidenzbasierung in der Wirtschaftspolitik“ mit
- Prof. Dr. Claudia M. Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, und
- Stephan Naundorf, Referat Bessere Rechtsetzung im Bundeskanzleramt, Vorsitzender des regulierungspolitischen Ausschusses der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).
Begrüßt und eingeführt haben Ulrich Steinbach, Ministerialdirektor im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie Dr. Gisela Meister-Scheufelen, Vorsitzende des Normenkontrollrates Baden-Württemberg. Die Veranstaltung wurde moderiert von Prof. Dr. Bernhard Boockmann, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) e.V. an der Universität Tübingen und Hannah Keding, Leiterin der Geschäftsstelle des Netzwerks Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau am IAW.
Herr Steinbach wies auf die Notwendigkeit eines verstärkten Austausches zwischen Politik, Verwaltung und Wissenschaft hin, um Bedingungen von gutem Verwaltungshandeln besser zu verstehen. In diesem Zusammenhang beschrieb er die vermittelnde Rolle des kürzlich gegründeten Netzwerks Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau sowie dessen Aufgabe, entsprechende interdisziplinäre Forschung zu fördern.
Frau Dr. Meister-Scheufelen sprach sich für eine weitere Qualitätsverbesserung der Rechtsetzung in Baden-Württemberg aus und umriss bisherige Bemühungen der Landesregierung. So begrüßte sie, dass bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen und Verwaltungsvorschriften nun Folgekostenabschätzungen vorgenommen werden müssen. Auch hob sie die Gründung des Netzwerks, sowie die des Normenkontrollrats Baden-Württemberg, als entsprechende positive Schritte hervor.
Frau Prof. Dr. Buch skizzierte zunächst den aktuellen Stand von Gesetzesevaluierungen auf Bundesebene sowie die Aufgaben der Bundesbank. Einen Schwerpunkt ihres Vortrags bildete der Evaluierungskreislauf, welchen sie anhand von drei Beispielen aus der Finanzpolitik darstellte. Das erste Beispiel thematisierte die zyklischen Risiken im Finanzsystem. Diese wurden kurz diskutiert, bevor die Kredit-BIP-Lücke als Hauptindikator vorgestellt sowie angerissen wurde, wann die Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers notwendig wird. Frau Buch betonte, dass es in diesem Kontext unverzichtbar sei, Wirkungen und Nebenwirkungen zu eruieren – was auch mit einer Neueinschätzung zyklischer Risiken für die Stabilität des Finanzsystems einher gehe. Das zweite Beispiel beleuchtete den Evaluierungskreislauf anhand der Regulierung von Risiken auf dem Immobilienmarkt. Das dritte Beispiel thematisierte die Evaluierung der G20 Finanzmarktreformen. Frau Buch sprach sich im Rahmen ihres Vortrags für eine verstärkte Entwicklung institutioneller Rahmen zur Gesetzesevaluierung aus und betonte die Notwendigkeit eines vertiefenden Dialogs zwischen Forschung, Verwaltung und Politik. Besonderes Augenmerk legte sie dabei auf die Entwicklung von Dateninitiativen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, welche die Grundlage für empirische Gesetzesevaluationen schaffen.
Herr Naundorf definierte zu Beginn seines Beitrags, was „gutes Recht“ sei. So gelte auf Bundesebene die Trias, dass ein Gesetz „einfach, verständlich und zielgenau“ sein müsse. Als Argument für eine stärkere Evidenzbasierung von Politik führte er den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen von ALG II-Leistungen an. Dieser besagt, dass „je weiter ein rechtlicher Eingriff in Schutzgüter und die Lebenswelt dringe, desto weniger dürfe sich die Politik auf Annahmen stützen.“ Daher müssten Annahmen empirisch anhand geeigneter Daten überprüft werden. Weiterhin zog Herr Naundorf Vergleiche zwischen OECD-Ländern. So steigt beispielsweise der gefühlte Erfüllungsaufwand in Deutschland überdurchschnittlich an, jedoch werden in Deutschland auch überdurchschnittlich häufig Gesetzesfolgenabschätzungen und Ex-post-Evaluierungen durchgeführt. Insgesamt befinden sich nach Daten der OECD die Konsultations- und Gesetzesfolgenabschätzungsvorgaben gerade erst in den Kinderschuhen und sind international noch wenig entwickelt.
Herr Naundorf leitete mit einigen Fragen zu einer regen Diskussion über. Referentinnen und Referenten sowie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer thematisierten unter anderem Folgendes:
- Führt der Ruf nach Evidenzbasierung zu einer Mechanisierung der Politik?
- Welche Daten wollen und können wir für Evaluationen verwenden? Welche Rolle spielen qualitative Studien als Grundlage der Evidenzbasierung?
- Wie können wir auch auf Länder- und Kommunalebene Daten bereitstellen? Welche Rolle spielen dabei Forschungsdatenzentren?